Sonntag, 22. Juli 2018

Gastbeitrag: Warum benutzen viele das Wort "Behinderung" nicht?

Durch Deutschland schwirren Begriffe wie "Erwerbsgemindert" und "Pflegebedürftig" - Begriffe die in sich als Tarnung verwendet werden, denn in diesem Zusammenhang wird der Begriff "Behinderung" meist vermieden. Strategisch ist das schlau, denn die UN-Behindertenrechtkonvention verbietet "ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen wegen einer Behinderung". Fängt aber genau diese ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aber nicht genau dann an, wenn unsere Politiker Gesetzesentwürfe formulieren, die Menschen mit gleicher Behinderung in soziale Klassen teilt?

Nehmen wir als Beispiel den Entwurf des Rentenpakets von Hubertus Heil (SPD). Zwei Menschen. Gleiche Behinderung. Gleichen Grad der Behinderung (GbR) und doch unterschiedlich behandelt, denn die eine Person erhält, nur weil die Behinderung erst nach dem 1.1.2019 zur Erwerbsminderung führt, einen Rentenvorteil, gegenüber jener Person mit gleicher Behinderung, nur weil diese vor dem 1.1.2019 bereits erwerbsgemindert war. Ist das Gleichbehandlung?

Ähnliches erleben wir bei SGB XII Empfängern. "Einmal im Jahr weniger Geld", so schreibt es der VDK (Quelle: Link). Wer nach dem 1.4.2004 seiner Erstrentenbezug hat, bekommt seine Rente zum Monatsende. Auswirkung? Ja, denn für diese Personengruppe gibt es einmal im Jahr weniger aus dem Sozialhilfetopf, wie der VDK in seinem Artikel sehr gut darstellt. Ist das Gleichbehandlung?

Drittes Beispiel sind Pflegesachleistungen. Wer im EU-Ausland lebt, Pflegegeld bezieht, bekommt keine Pflegesachleistungen und das, obwohl dieser Personenkreis brav in die Pflegekasse einbezahlt. Ist das Gleichbehandlung?

Das sind nur drei Beispiele, warum "behindert sein" eben nicht gleich "behindert sein" bedeutet.

Es scheint also so zu sein, dass der Begriff  "Behinderung" im Zusammenhang "Erwerbsminderung" und "Pflege" eben doch lieber vermieden wird, denn dadurch lassen sich viele Steuergelder einsparen und die Rentenkassen entlasten.

Warum aber genau an diesem Punkt Parteien, Verbände und Menschenrechtsorganisationen nicht auf die Barrikaden gehen? Ein Rätsel und deren Antworten sind noch zu suchen. 



Anmerkung zur Begriffserklärung:


Erwerbsgemindert sein bedeutet nach Deutschem Recht: "erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung ...."

Behindert sein bedeutet nach Deutschem Recht: "Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können"

Behindert sein bedeutet nach der UN-Behindertenrechtkonvention: "Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben"